Mein Albtraum beginnt an einem Freitag um 08:41. Ich starre auf die Leinwand, der Beamer projeziert das Ultraschallbild unseres ungeborenen Kindes in erbarmungsloser Detailtiefe.
Ich hatte mir zuvor schon im Internet angesehen, was uns eigentlich in 11+0 erwarten sollte. Und ich hatte auch gesehen, was auf den Bildern besser nicht zu sehen sein sollte.
Ich sehe die Nackenfalte auf der Leinwand und atme tief aus. Meine Frau merkt, wie ich im Stuhl zusammensacke - die Ärztin schweigt und misst zuerst die SSL. 3,35cm - grenzwertig klein, das Ultraschallgerät berechnet 10+2.
Dann misst sie kurz die Nackenfalte, die sich zum Teil auch über den Rücken erstreckt. 4mm stehen da.
Sie spricht mit uns. Das Herz schlägt, es scheint alles dran zu sein - aber die Nackenfalte sollte von einem Spezialisten abgeklärt werden. Und sie glaubt, eine Omphalozele zu erkennen.
Der nächste Termin bei der Pränataldiagnostik ist erst zehn Tage später. Zehn Tage in der Vorhölle. In diesen zehn Tagen recherchiere ich so ziemlich alles, was zu dem Thema im Internet zu finden ist. Ich lese ganze Dissertationen über das fetale Outcome in Abhängigkeit von Nackentransparenzen, Wahrscheinlichkeitstabellen für Chromosomenstörungen und Herzfehler, durchforste Foren wie dieses und werde Halbprofi im Interpretieren von Ultraschallbildern.
Klarheit und Ruhe finde ich keine. Ich schöpfe Hoffnung aus der Tatsache, dass eine NT-Messung erst ab 4,5cm SSL Sinn macht und eine Omphalozele durchaus noch physiologisch sein kann. Auf der anderen Seite sind die 4mm bereits jetzt schon relativ hoch - wo soll das enden? Oder vielleicht hat die Ärztin ja die Amionhaut mitgemessen?
So viele Optionen in beide Richtungen. So viele Berichte über auffällige Nackentransparenzen, die im nächsten Ultraschall verschwunden waren. Das Warten macht mich wahnsinnig.
Ich starre wieder auf eine Leinwand. Die Pränataldiagnostikerin muss gar nichts sagen. Selbst ein Laie erkennt eine Omphalozele, die fast so groß ist wie der Kopf des Kindes. Die Nackenfalte ist mittlerweile ein 9,7mm breiter Sack, der die gesamte Rückseite unseres Kindes umschließt.
So fühlt er sich also an - dieser Moment, in dem man realisiert, dass wohl alle Hoffnungen vergebens waren. Ich blättere gedanklich kurz durch eine der Dissertationen, die bei derart hohen NT primär einen Herzfehler und nicht Chromosomenstörungen als Ursache ausweist. Kann man vielleicht postnatal operieren - und die Omphalozele gleich mit.
Die Ärztin macht schweigend noch diverse weitere Messungen, sie will uns erst am Ende alles zusammenfassen. Das Herz schlägt, die Flusskurve erscheint und ich sehe gleich die negative A-Welle. Das mit dem Herzfehler scheint sich zu bewahrheiten.
Ich bekomme aber ohnehin nur noch die Hälfte mit, in meinen Ohren rauscht es taub.
Die Zusammenfassung der Ärztin bestätigt meinen laienhaften Befund und ergänzt ihn noch um Fehlbildungen an den Händen. Sie tippt auf Trisomie 18.
Wir sitzen im Beratungszimmer der Humangenetikerin. Die Chorionzottenbiopsie hat die Trisomie 18 bestätigt. Wir werden unser Kind verlieren.
Meine Damen und Herren, bitte schnallen Sie sich an - Sie fahren nun mit 250 gegen eine Betonwand.
Der Abbruch ist erst in einigen Tagen. Vor mir liegt das letzte US-Bild unseres Kindes, mit dem ich in ein paar Jahren vor dem Haus Drachen steigen lassen wollte.
Mein Gott, wann wache ich endlich auf.
My Babyclub.de
Die Natur kennt keine Sachmängelhaftung
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Eintrag vom 16.05.2019 23:08Antwort